„Die helle und die dunkle Seite der Macht“ von Christine Bauer-Jelinek – Buchrezension

Das Sachbuch „Die helle und die dunkle Seite der Macht“ von Christine Bauer-Jelinek beleuchtet Macht objektiv und auf sehr strukturierte Weise. Was Macht ist, warum keiner um sie herum kommt und wie man seine Macht-Kompetenz stärkt – das und noch viel mehr wird hier thematisiert. Ich konnte aus diesem Buch für mich sehr viel mitnehmen und wurde positiv überrascht.

Jahrelang stand dieses Buch in meinem Regal. Vor ein paar Tagen die ersten Seiten angefangen und es hatte mich in seinen Bann gezogen. Auch wenn das Buch im Jahr 2009 geschrieben wurde, ist es aktueller denn je. Kein Wunder, dass erst 2020 eine neue Auflage des Buches mit dem Untertitel „Wie sie Ihre Ziele durchsetzen ohne Ihre Werte zu verraten“ aufgesetzt wurde. Ich habe noch die ganz alte Auflage gelesen.

Ich hatte die Erwartung, es gehe in dem Buch um Manipulation und Techniken, die sich laut der Autorin unter dem Begriff „verdeckte Kampftechnik“ zusammenfassen lassen. Dank dem Buch weiß ich jetzt, dass Macht noch so viel mehr ist. Und dass man „Kämpfen“ erst dann sollte, wenn es keinen anderen Weg mehr gibt, um wieder in die konstruktive Verhandlung zu gelangen. Dass es nicht darum geht, durch das Kämpfen sein Ziel selbst direkt durchzusetzen.

Im Gegensatz zur „urwüchsigen“ Anwendung der Macht bedeutet ein Sieg über den Gegner nicht, dass der Konflikt hier zu Ende ist. Ein Sieg dient nicht zur Überwältigung oder zum Diktat von Bedingungen. Er soll den anderen von der Notwendigkeit einer konstruktiven Verhandlung überzeugen, um eine für beide akzeptable Lösung zu finden. (…) Konstruktives Verhandeln erfordert von allen Beteiligten eine hohe Bereitschaft, trotz unterschiedlicher Interessen und trotz Einsatzes von Machtinstrumenten, eine gemeinsame Lösung zu finden.

S. 140 und S. 153

Die Kapitel sind in 3 verschiedene Teile eingeteilt. Jedes Kapitel schließt mit zum Kapitel passenden, sehr gut ausgewählten Fragen zur Selbstreflexion. Des Weiteren hat die Autorin wichtige Definitionen in Kasten gesetzt, sodass man diese schnell wieder finden kann.

Der erste Teil des Buches befasst sich mit den Bereichen, in denen wir (erste) Erfahrungen mit Macht, vor allem aber auch mit Ohnmacht machen. Es geht auch um die Tabuisierung von Macht und worin diese gründet.
Mich hat dieser Teil sofort abholen können, denn die Autorin spricht ihre These schnell an.

„Ohne Macht geht es nicht.“

S. 20

Das machte mich sofort neugierig, da ich oft Menschen beobachtet habe, die mit Ohnmacht konfrontiert waren und daraufhin Macht um jeden Preis aus dem Weg gingen und Macht für etwas Unmoralisches hielten. Da fielen mir zum Beispiel Gläubige ein, die Liebe predigten. Oder die gegenteilige Reaktion: Menschen, die Macht um jeden Preis anstreben. Und jetzt sollte Macht sinnvoll sein? Ohne ginge es sogar nicht?

Im zweiten Teil geht es darum, was Macht eigentlich ist. Die Autorin erklärt sehr verständlich, wann es überhaupt dazu kommt, dass Macht benötigt wird. Außerdem geht es um die Legitimation der Macht. Christine Bauer-Jelinek stellt 8 Quellen vor, aus denen man Macht schöpfen kann und dazugehörige Insignien. Des Weiteren stellt sie vier sogenannte Schauplätze der Macht vor – also verschiedene Orte, an denen Machtausübung stattfindet, jedoch unter unterschiedlichen Bedingungen, die beachtet werden sollten. Der zweite Teil thematisiert auch die helle und die dunkle Seite der Macht: Wann wird Macht zur Gewalt?

Macht ist das Vermögen, seinen Willen gegen einen Widerstand durchzusetzen.

S. 58

Im dritten Teil geht es darum, wie man auf gute Weise mächtig ist. Die Autorin bezeichnet das als „maßvolles Mächtigsein“. Es geht hier um die M.E.K-Strategie (Macht-Eskalation und Kontrollstrategie), die die einzelnen Schritte aufzeigt, die für einen maßvollen Umgang mit Macht nötig sind. Die „Kunst des Kämpfens“ wird thematisiert, die meiner Meinung nach jedoch viel zu kurz und eher oberflächlich ausgefallen ist. Zum Schluss geht es um die „Macht-Kompetenz“, für die laut der Autorin die Einstellung zur Macht grundlegend ist: Es geht darum, dass es weder sinnvoll ist, sich der Macht vollkommen zu enthalten sodass es zur (Selbst-)Zerstörung führt noch, so sehr ein „Macht-Mensch“ zu sein, dass das Streben nach Macht krankhaft/fanatisch ist.

Wir [verwenden] unsere Kraft nicht mehr für nutzlose Versuche, andere Menschen zu ändern, sondern um Interessenskonflikte nachhaltig und mit möglichst geringem Kraftaufwand zu lösen. Die Mechanismen der Macht lassen sich in einer Weise in das eigene Leben integrieren, die eine Tabuisierung überwindet, ohne in Extreme auszuarten.

S. 135

Zwischendrin gibt es ein paar Kapitel oder auch Abschnitte zu den Unterschieden zwischen Mann und Frau bezüglich Macht, die ich persönlich jedoch nicht so gut fand. Das lag jedoch nicht daran, dass sie „falsch“ sind oder schlecht geschrieben – ich fand die anderen Kapitel bloß wesentlich spannender und das meiste aus den Kapiteln zu Mann und Frau war mir bereits bekannt.

Zunächst zum Positiven: Top Schreibstil, sehr gut argumentiert, es ist kaum langatmig geworden und inhaltlich war es auch sehr spannend und objektiv geschrieben. Die Fragen zur Selbstreflexion sind sehr gut, die Umrandung von Definitionen ebenfalls. Es verleiht für mich dem Thema „Macht“ eine Struktur, gibt einen guten Überblick, einen ersten Einstieg, hätte aber gerne noch viel mehr in die Tiefe gehen können.

Was ich nicht so gut fand ist, dass es keine Fußnoten gibt. Die Autorin gibt zwar am Ende des Buches Quellen an, da es jedoch keine Fußnoten gibt beziehungsweise keine Nummerierung, lassen sich die Quellen nur schwer zuordnen. Auch hätte ich mir noch eine ausgewählte Liste gewünscht für diejenigen, die bei dem Thema „Macht“ gerne noch mehr erfahren möchten. Die Autorin geht zwar an einer Stelle darauf ein, welche Bücher sie empfehlen würde, aber für mich ist das zu kurz ausgefallen und es wurde zu wenig erläutert, was man sich von dem jeweiligen empfohlenen Buch erhoffen darf.

Für mich war das Lesen insgesamt jedoch ein sehr angenehmes, spannendes, befriedigendes Erlebnis. Es ist eins der bereicherndsten und dabei gleichzeitig angenehmsten Bücher, die ich jemals gelesen habe. Mit sehr vielen außergewöhnlichen, spannenden Thesen. Vielen Dank an die Autorin dafür!

Und jetzt werde ich mich daran setzen, nochmal alle wichtigen Definitionen durchzugehen, die Inhalte für mich aufzubereiten und die Fragen zur Selbstreflexion zu beantworten. Das habe ich nämlich nicht nach jedem Kapitel gemacht, da ich zu gespannt war auf das jeweils nächste Kapitel

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